Legendenschilder: Einfach mal stehenbleiben (Lokalkompass, 19.03.2018)
Einhundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erinnert in Hattingen im Rauendahl ein ganz besonderes Projekt an das Thema Flucht und Vertreibung. Schüler der Gesamtschule Welper haben es durchgeführt – entstanden sind sechs Legendenschilder, die an Straßenschildern im Rauendahl angebracht wurden und zeigen, wie lebendig Geschichte ist. Beteiligt waren an dem Projekt nicht nur die 26 Oberstufenschüler, sondern auch die Lehrer Corinna Brand, Thomas Waschkuhn und Veysel Hezer sowie Hattingens Stadtarchivar Thomas Weiß und der Heimatforscher Harri. Die Stadt Hattingen unterstützte das Projekt und die Finanzierung der Schilder ist dem Hattinger Lions-Club zu verdanken.
Sechs Schilder, die in einem Rundgang durch den
Stadtteil auf das Thema Bezug nehmen, sollen zeigen: Das Rauendahl
entstand als Stadtteil für Flüchtlinge und Vertriebene. Lange Jahre gab
es hier nämlich nichts. Stadtarchivar Thomas Weiß machte mit einem
gewohnt launigen Vortrag mit den Anwesenden im Kinder- und Jugendtreff
Rauendahl einen Streifzug durch die Rauendahler Geschichte. Im Rauendahl
soll man eine Burg gestanden haben, 1872 gab es ein erstes Bild vom
Rauendahl – und es zeigte: dort war nix. Wiesen, Felder, keine Siedlung.
Germanen sollen hier mal gelebt haben, das Rauendahl sollte eigentlich
„rotes Tal“ heißen – weil dort so viel Blut geflossen war. Ab 1652 gibt
es eine Bergbautradition, 1787 fuhr die erste deutsche Eisenbahn auf
Eisenschienen (nicht Holz!!!). „Sie sehen, ab da wurden wir berühmt“, so
Stadtarchivar Thomas Weiß, der auch gleich das Berühmteste überhaupt
erwähnte: „Das war 2013, als das Stadtarchiv ins Rauendahl zog.“
Aber im Ernst: Sehr, sehr spät wurde das Rauendahl besiedelt. In den
späten fünfziger Jahren baute die hwg dort die ersten Wohnungen, 1960
war die Marke „2000“ erreicht. Wohnunterkünfte für Flüchtlinge wurden
errichtet, die aus den früheren ostdeutschen Gebieten kamen. Manche von
ihnen leben als zeitzeugen noch heute im Rauendahl und berichten, wie es
sich damals alles zugetragen hat. Eine Heimat, eine neue Bleibe, hätten
sie hier gefunden – doch die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat ist
für viele immer noch präsent. Thomas Weiß zeigt Postkarten über das
Rauendahl und macht auch deutlich: als die Flüchtlinge von dort wegzogen
und sich im Stadtgebiet verteilten, kamen neue Generationen – viele von
ihnen mit Migrationshintergrund ins Rauendahl und sorgten für eine
Veränderung des Stadtteils.
„Ziel des Projektes war es, sich mit der lokalen Flucht- und
Vertreibungsgeschichte Hattingens auseinanderzusetzen und das Rauendahl
als historischen Lern- und Erinnerungsort zu verstehen. Unsere
Projektarbeit war die Weiterführung der im letzten Jahr begonnenen
Erinnerungsarbeit: Zuletzt fand im November 2016 an unserer Schule in
Anwesenheit von vier Zeitzeugen und diversen Kooperationspartnern ein
Podiumsgespräch zur Wanderausstellung „geflohen, vertrieben –
angekommen?!“ (Volksbund) statt. Daran anknüpfend sollte jetzt die
Begegnung mit der Erlebnisgeneration intensiviert und natürlich die
Teilhabe der Schüler an der Erinnerungskultur unserer Stadt gefördert
werden“, erklärt Lehrer Veysel Hezer.
Bei einem Rundgang kann man die sechs Schilder entdecken. Sie laden ein,
Geschichte erlebbar zu machen, stehen zu bleiben und sich Gedanken zu
machen – ein nachhaltiges Projekt für Schüler, die in diesem Jahr die
Schule mit dem Reifezeugnis verlassen werden.
Für Stadtarchivar Thomas Weiß und Heimatforscher Harri Petras ein
gelungenes Projekt, zeigt es doch, dass sich auch junge Generationen mit
dem Thema Flucht und Vertreibung auseinandersetzen. Schließlich ist das
Thema heute noch genauso aktuell wie nach dem Ende des Ersten
Weltkrieges vor einhundert Jahren.