Aus der eigenen Geschichte etwas lernen (Lokalkompass, 23.11.2017)

„Da wohne ich nun schon mein ganzes Leben im Rauendahl, aber das dieser Stadtteil für Flüchtlinge und Vertriebene geschaffen wurde, davon hatte ich keine Ahnung“ (Alex, mazedonische Wurzeln) – „Das Thema zeigt, dass wir in Hattingen schon einmal Menschen aus anderen Orten eine neue Heimat gegeben haben. Das ist auch heute wieder der Fall“ (Johanna). 26 Oberstufenschüler der Gesamtschule in Hattingen haben gemeinsam mit den Lehrern Corinna Brand, Thomas Waschkuhn und Veysel Hezer sowie Hattingens Stadtarchivar Thomas Weiß und dem Heimatforscher Harri Petras das Projekt „Legendenschilder“ aus der Taufe gehoben.
Sechs Schilder, die in einem Rundgang durch den Stadtteil auf das Thema Bezug nehmen, sollen zeigen: Das Rauendahl entstand als Stadtteil für Flüchtlinge und Vertriebene. Die Schilder sollen Lern- und Erinnerungsort sein für Flucht und Vertreibung nach 1945. Wer weiß das eigentlich?Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten 14 Millionen Deutsche aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und später aus der DDR ihre Heimat verlassen. Tausende von ihnen fanden in Hattingen ihre neue Heimat; hier entstanden damals die beiden Ortsteile Rauendahl und Südstadt. Straßennamen wie „Weimarer Straße, Jenaer Straße, Stettiner oder Königsberger Straße erinnern daran. Aber an was genau? Die meisten Bewohner im Rauendahl dürften heute nur wenig mit den Namen verbinden. Durch das Schulprojekt der Gesamtschule und den sechs „Legendenschildern“ soll sich das ändern. „Ziel des Projektes ist es, sich mit der lokalen Flucht- und Vertreibungsgeschichte Hattingens auseinanderzusetzen und das Rauendahl als historischen Lern- und Erinnerungsort zu verstehen. Unsere Projektarbeit ist die Weiterführung der im letzten Jahr begonnenen Erinnerungsarbeit: Zuletzt fand im November 2016 an unserer Schule in Anwesenheit von vier Zeitzeugen und diversen Kooperationspartnern ein Podiumsgespräch zur Wanderausstellung „geflohen, vertrieben – angekommen?!“ (Volksbund) statt. Daran anknüpfend soll jetzt die Begegnung mit der Erlebnisgeneration intensiviert und natürlich die Teilhabe der Schüler an der Erinnerungskultur unserer Stadt gefördert werden“, erklärt Lehrer Veysel Hezer.
Lokale Geschichte: Berührend und spannend zugleich
Die Schüler jedenfalls finden es spannend und
berührend zugleich. 26 Oberstufenschüler haben den Geschichtszusatzkurs
gewählt und sind gemeinsam mit Heimatforscher Harri Petras und
Stadtarchivar Thomas Weiß in der Sache unterwegs. Vor allem die Frage,
welcher Text auf die sechs „Legendenschilder“ soll, wurde heiß
diskutiert und schließlich in Teamarbeit entschieden. Das ist nämlich
auch etwas, was die Schüler gelernt haben: Neben dem historischen Wissen
kommt es in der Umsetzung auf das Arbeiten im Team an! Und sie knüpfen
mit ihrem Wissen an die aktuelle Situation der Flüchtlinge an. „Heute
kommen auch Menschen nach Hattingen, die ihre Heimat verloren haben und
hier willkommen geheißen werden sollten. Sie müssen hier eine neue
Heimat finden und wir müssen ihnen bei der Integration helfen – wie
damals. Und davor sollten wir keine Angst haben, denn die Geschichte
zeigt doch, dass es funktioniert hat“, sagen sie.
Im Rauendahl
befindet sich auch Hattingens Stadtarchiv. Archivar Thomas Weiß
unterstützt das Projekt. „Ein Archiv, welches nur Materialien sammelt,
diese aber nicht durch Öffentlichkeitsarbeit präsentieren kann, macht
wenig Sinn. Deshalb finde ich es wichtig, das Wissen eines Archivs auch
mit jungen Menschen zu teilen. Wir haben durch die Realschule Grünstraße
und ihre Emmy Roth-Forschungen ein weiteres wunderbares Beispiel, wie
Geschichte erlebbar wird. Nun also die Legendenschilder der
Gesamtschule. Ich finde das Projekt klasse“, resümiert Weiß.
Eingebunden
sind auch die Stadt Hattingen und der Hattinger Lions-Club. Die Stadt
hat bereits ihre Zustimmung zum Anbringen der Schilder gegeben, der
Hattinger Lions Club kümmert sich um die finanzielle Unterstützung.
Veranstaltungen sind ebenfalls geplant. So überlegt man, einige
Zeitzeugen zu einer Veranstaltung in die Schule zu bitten und es gibt
auch Gespräche mit Quartiersentwicklerin Gabriele Krefting. Eine
Veranstaltung im Rauendahl selbst kann man sich ebenfalls vorstellen.
Die Schüler könnten dann das Projekt selbst vorstellen und mit
Interessierten den Rundgang der Erinnerung durchführen.